
Sonntagabend war ich auf der Kick-Off Veranstaltung der Eurowahlgang, einer ehrenamtlich Initiative der studentischen Politikfabrik, im Europahaus in Berlin.
Die Eurowahlgang hat sich zum Ziel gesetzt, junge Menschen in ganz Deutschland für die Europawahlen zu interessieren und zu begeistern, insbesondere mit Diskussionsveranstaltungen in 80 deutschen Städten (für die 80 junge "Wahlgangster" als Botschafter rekrutiert und geschult wurden), aber auch mit Print-, Audio-, und Videomaterialien, die in ganz Deutschland verteilt und gezeigt werden sollen.
Die Veranstaltung zum Start der Aktionen heute Abend war ein voller Erfolg, ohne Abstriche!
Geladen waren Vertreter der fünf deutschen im Europäischen Parlament vertretenen Parteien.

Von links:
- MdEP Alexander Graf Lambsdorf (FDP/ALDE)
- MdEP Dagmar Roth Behrendt (SPD/PES)
- Hajo Schumacher (Moderator)
- MdEP und Europaparlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU/EVP)
- MdEP Gabi Zimmer (LINKE/VEL)
- MdEP Rebecca Harms (Grüne)
Man kann ja über Europawahlen, Politik und junge Menschen eine Menge dummes und intelligentes Zeug erzählen, aber in dem Raum da habe ich nichts von Desinteresse, fehlender Begeisterung, Politikverdrossenheit gespürt.
Wenn Leidenschaft für europäische Politik und Bereitschaft zum Engagement für eine gemeinsame Sache über 200 junge Leute zusammenbringt, dann bleibt wenig übrig von solchem negativen Gerede. Und da können auch die Euroskeptiker landauf- und landabwärts um sich schlagen was das Zeug hält, so viel positive Atmosphäre können sie ihren Lebtag nicht erzeugen!

Einzig Pöttering machte mehrfach keine gute Figur, grummelt Rebecca Harms an, erzählte ausschweifende Geschichten, die seine politischen Überzeugungen belegen sollten (aber einfach nur langweilig waren), und fuhr auch einem der Fragenden über den Mund. Wenn ich einen nach heute Abend nicht wählen würde, dann Pöttering.
Ich könnte eine Menge über die Veranstaltung schreiben, aber weil das deutlich zu lang würde, hier einfach mal eine Liste der Fragen bzw. Themen, die die jungen Zuschauer im Saal interessierten, und zu denen sie Antworten und Kommentare von den Kandidaten wollten:
- geringe Wahlbeteiligung als Ergebnis von fehlender Information oder fehlender Identifikation?
- Militarisierung der EU?
- Initiativrecht für das Europaparlament?
- Bedeutung des Bundestages im Verhältnis zum EP?
- Unterschiedliche Wertigkeit der Wählerstimmen in verschiedenen Mitgliedsstaaten
- Europa ohne Nationen - Europa der Regionen?
- Rolle der Religion in Europa?
- warum nicht weniger Streit zwischen Politikern?
- Aufnahme der Türkei in die EU?
- Abbau von Agrarsubventionen?
- Meinung zu Lissabon-Vertrag?
- Volksentscheide für Vertragsänderungen?
- Länge der Wahlzettel (weil ziemlich lang in einigen Bundesländern)
- wie Wohlstand in Europa sichern?
- Berücksichtigung der Meinung von Jugendorganisationen bei europäischer Politik?
Eine Sache, die "fraktionsübergreifend" hervorgehoben wurde, ist die besondere Rolle des einzelnen Abgeordneten im Europäischen Parlament:
Anders als in nationalen Parlamenten mit ihren Fraktionszwängen und Regierungsmehrheiten, besitzt der Europaabgeordnete, so die einhellige Meinung, viel Mehr Freiheiten bei der Mehrheitsbeschaffung, auch über Fraktionsgrenzen hinweg, und auch was das persönliche Abstimmungsverhalten angeht. Politisch scheint das sehr angenehm zu sein, und es hatte auch nicht den Anschein, als wenn auch nur eine/r der fünfen auf dem Podium seinen Job in Strasbourg/Brüssel gegen einen Sitz im Bundes- oder in einem deutschen Landtag tauschen würde.
Insgesamt ein echt gelungener Abend, hat mir großen Spaß gemacht, und ich kann nur hoffen, dass die 80 Wahlgangster diese Begeisterung mit "in die Provinz" nehmen und dort noch viel mehr junge Menschen für Europa und die Europawahlen begeistern können!
Merci an die Wahlgang und die ganze Politikfabrik!
(Anmerkung: Der Autor dieses Blogs ist nicht Teil der Wahlgang-Initiative, sondern schreibt seit letzem Juli auf seinem englischen Europa-Blog über verschiedene Aktivitäten im Vorlauf der Europawahlen 2009.)
Nachtrag: Natürlich kann man alles auch negativ sehen und klein machen wie auf sueddeutsche.de - aber mehr Europa schafft man nicht durch trockenen deutschen Journalismus, der eine solche Aktion nicht einmal in einen europäischen Kontext zu setzen vermag!
Gratulation, Herr Reese, für fehlende Begeisterung verpackt in sachlichen Journalismus!
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PS.: Ich hatte in einem früheren Beitrag festgestellt, dass das Informationsbüro des Europaparlaments noch nicht wirklich von der Europawahl dominiert wird.
Die Vertreterin der Kommission (die demnächst nach Brüssel zurückkehrt und durch Matthias Petschke ersetzt wird, hat allerdings heute angemerkt, dass bereits seit Oktober die gesamten finanziellen und personellen Ressourcen der Kommissionsvertretung dem EP-Büro für die Europawahlen zur Verfügung gestellt worden seien. Das mir nichts aufgefallen ist heißt also nicht, dass nichts passiert.
Außerdem habe ich das Europahaus jetzt mal aus der Ferne gesehen, und zumindest da kann man es nicht übersehen, dass - und wann - die Europawahlen kommen.

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